Der erste Bissanzeiger

Der 13. September 1952, 4.33 Uhr: Ein quäkender Dauerton stört die Nacht am Redmire Pool im englischen Herefordshire. Schlaftrunken stürzt Richard Walker zur Rute, sein Anhieb sitzt. Nach aufreibendem Kampf wälzen sich 44 englische Pfund wütend im Landenetz - der neue britische Karpfen-Rekord! Fast 13 Pfund über der alten Bestmarke, sollte er nahezu 30 Jahre Bestand haben. Walkers elektrischer Bissanzeiger läutete eine neue Ära der Karpfenangelei ein - von nun an war es möglich, tagelang hintereinander effektiv auf den König der Friedfische anzusitzen, vor allem auch nachts. Die Zeit des raschelnden Silberpapierchens war vorbei! Doch den ersten Elektro-Bissanzeiger lötete 1949 Maurice Ingham zusammen. Er brachte dazu eine kleine Taschenlampe über der Rolle auf seiner Holzrute an. Zog ein Karpfen Schnur ab, wurde während jeder Umdrehung einmal ein Kontakt in der Nottingham-Rolle geschlossen. Die Taschenlampe blinkte in der Abziehgeschwindigkeit des Fisches rhythmisch auf. Seine Erfindung stellte Ingham in der Fishing Gazette vom 8. Oktober 1949 vor. Zeitgleich tüftelte auch Richard Walker - beide waren enge Brieffreunde - an einem Bissanzeigermodell. Seine Version basierte auf einer urtümlichen Fahrrad-Laterne. Walker klemmte die Angelschnur zwischen einen Batteriekontakt und unterbrach so den Stromfluss. Nachteil: Selbst beim kleinsten Zupfer leuchtete die Lampe dauerhaft auf, die weitere Entwicklung des Bisses war nicht mehr erkennbar. Beide Karpfenangler tüftelten weiter, doch die Perfektionisten waren von ihren plumpen Prototypen nicht überzeugt.



Im Herbst 1952 arbeitet Walker erstmals an einem akustischen Modell: „Ich habe einen neuen Bissanzeiger erfunden, den man auf dem Rutenhalter befestigt. Der Summer ertönt nur, wenn Schnur abgezogen wird. Stoppt der Fisch, verstummt der Alarm. So lässt sich ein vorsichtiger Zupfer von einem gleichmäßigen Lauf unterscheiden."

 

Das Aufkommen elektrischer Bissanzeiger sorgte für Aufregung in der englischen Angel-Journaille. Konservative Petrijünger beschimpften Walker und Ingham: Als ein „Haufen Schurken" wurden sie bezeichnet, die „im Pub eine Achtelmeile vom Angelplatz entfernt hocken", während ihre Karpfen „auf dem elektrischen Stuhl" brutzeln. Den „Electric-Buzzer-Anglern" (Buzzer englisch für Summer) wurde vor allem Unsportlichkeit und Faulheit vorgeworfen. John Norman frotzelte: „Ich war erstaunt, als ich Maurice Ingham dabei beobachtete, wie er sich im Halbdunkeln niederließ, Kopf und Schultern an den Rucksack gelehnt, die Beine zu seinen Ruten ausgestreckt und mit einer Decke zugedeckt - und glaubt mir, er hatte die Nerven einzuschlafen. Er behauptete zwar, er döse nur, aber ich habe noch nie einen dösenden Mann schnarchen gehört!" Normans Empörung ist heutzutage kaum nachzuvollziehen, schlummern doch inzwischen alle Boilieangler in molligen Brolly-Camps bis zum ersten Weckruf des Bissanzeigers. Doch es gab auch besonnene Zeitgenossen - Jack Smith brachte es 1952 auf den Punkt: „Ich für meinen Teil glaube nicht, dass ausgeklügelte mechanische Hilfsmittel die Spiritualität desKarpfenangelns gefährden. Zumindest nicht mehr, als ein Bischof, der mit dem Auto seine Gemeinde besucht."

 

 

Im Frühjahr 1953 stellte Walker seinen „Bedlam Mk. IX" der anglerischen Öffentlichkeit vor. Walker hatte Humor - nach all der Schelte benannte er seinen Karpfenpiepser nach einem berühmt-berüchtigten Londoner Irrenhaus. Sein genialer Einfall: Er integrierte den Bissanzeiger in die V-Auflage des vorderen Rutenhalters. Die ablaufende Schnur bewegte einen dünne, federnde Drahtantenne, die jede Schnurbewegung in ein schrilles Fiepsen verwandelte. Er fertigte fünf Exemplare, vier verschenkte er an die damalige Creme de la Creme der englischen Karpfenangelei. Walker verfolgte mit seiner Erfindung keine finanziellen Interessen, er veröffentlichte freimütig die Bastelanleitung. Und so musste es geschehen: Im Oktober 1954 brachte die Londoner Firma „G.S.Heyman & Co" mit dem „Buzz-Light Bite Detector" das erste Bedlam-Imitat auf den Markt. 1957 folgte der „Prematic", fast gleichzeitig im Juni kam der „Heron" in den Handel. Letzterer wurde nicht nur nach dem Graureiher benannt, er klang auch so. Der zwei Pfund teure Heron wurde vom Karpfenangler Jack Opie hergestellt und von Auger Tackle vertrieben. Anstatt den Ideenklau zu bedauern, empfahl Walker der schnell anwachsenden Karpfenangler-Gemeinde selbstlos das neue Gerät. Er verdiente nie einen Pfennig mit seiner Erfindung. Der krächzende Vogel dominierte schnell den Markt. Bis in die 70er Jahre fischte so ziemlich jeder Karpfen-Freak damit, an allen Weihern ertönte nachts das sympathische Quaken des kleinen Elektrogeräts. Alle Antennen-Bissanzeiger vom Heron-Typ waren noch per Kabel mit einer externen Sounder-Box verbunden. Hier befanden sich Summer und Batterie. Langsam wurde es Zeit für den „All-in-the-Head-Buzzer", einem Alles-in-einem-Modell! Nach einigen nicht wasserdichten und jämmerlich ächzenden Irrläufern brachte die Firma Dellareed aus Ramsgate 1976 den „Optonic" auf den Markt. Alle Bauteile befanden sich in einem hässlichen, schwarzen Kasten, der ebenfalls auf den vorderen Rutenhalter geschraubt wurde. Die Schnur lief widerstandslos über ein sich drehendes Rädchen, eine Lichtschranke meldete jeden Zupfer. Je rasanter der Run, umso schneller folgten die Piepser - bis hin zum Dauerton.



Doch die ersten Modelle der Entwickler Frank Sams und John Lynch hatten viele Schwächen: Bei einem starken Biss rutschte die Rute von der schlecht konstruierten Auflagefläche, zuweilen knickte der wacklige Plastikfuß komplett zur Seite ab. Del Roman und Kim Donaldson traten auf den Plan. Unter dem Namen „Delkim" brachten beide Angler in den 80ern eine verbesserte Optonic-Version mit klangstarkem Lautsprecher, stabilem Metallfuß und aufschraubbaren „Ohren" auf den Markt. 1986 klagte Dellareed erfolgreich gegen die findigen Bastler von Delkim. Die beiden Jungs durften fortan nicht mehr am Patent der Firma aus Kent herumschrauben. Sie konstruierten ihren eigenen Bissanzeiger, der 1992 auf den Markt kam. Er funktionierte mit Vibrationsalarm, basierend auf dem hochempfindlichen Tonabnehmerprinzip des Plattenspielers. Diese Idee hatte aber schon Richard Walker in den 50ern: „Musikliebhaber können ihre Angel sogar mit einem kleinen Draht an den Auslöser eines Plattenspielers anschließen, um aus ihren Träumen durch einen Marsch oder vielleicht durch Beethovens Mondscheinsonate geweckt zu werden." Sein Tipp war übrigens ernst gemeint.